Mit Anthony Netto und Rolf Everding in Irland
Schräge Lagen sind kein Hindernis
Mit einem ParaGolfer im Einsatz. Behinderung muss beim Golfen kein Hindernis sein.
Anthony Netto war in Südafrika einer der hoffnungsvollsten Golfer seiner Zeit. Eine große Karriere stand ihm bevor. Als er der Liebe wegen in Köln lebte, veränderte ein betrunkener Autofahrer am Sylvesterabend 1995 sein Leben. Seit diesem Tag ist Anthony Netto querschnittsgelähmt und an den Rollstuhl gefesselt. Dank des von ihm mitentwickelten “ParaGolfer“ Spezialrollstuhls spielt er wieder aktiv Golf.
ParaGolfer sind Rollstühle für Menschen mit Behinderung, die Golf spielen wollen. Es handelt sich dabei um Stehrollstühle mit Sitzverstellungen bis hin zum aufrechten Stehen. Sie ermöglichen dem behinderten Sportler, mit der gleichen Präzision und den gleichen Bewegungsabläufen den Sport Golf auszuüben, wie ein nicht behinderter Spieler. Ein lebender Beweis dafür ist Anthony Netto.
Wir treffen uns zufällig im Terminal des Düsseldorfer Flughafens. Er ist auf dem Weg nach Irland, um einem gelähmten irischen Gutsherrn den speziellen Golfwagen für Behinderte zu überbringen. Ich fliege nach Irland, um mit dem Hausboot auf dem Shannon von Golfplatz zu Golfplatz zu schippern. Im Flieger nach Dublin sitzen wir nebeneinander und beschließen, zusammen nach Kingscourt zu fahren, um den ParaGolfer zu übergeben. Ich habe Zeit. Ich muss erst in drei Tagen auf dem Boot sein.
Beim Aussteigen aus dem Flieger bleibe ich mit Anthony so lange zusammen an Bord, bis alle Passagiere ausgestiegen sind. Ich erlebe, was es heißt, als Rollstuhlfahrer zu fliegen. „Wer so auf Hilfe anderer angewiesen ist wie ich es bin, sollte verdammt freundlich sein können, um nicht anzuecken und hilflos stehengelassen zu werden. Da hilft mir meine positive Einstellung zu den Mitmenschen. Mit Freundlichkeit kommt man weiter, und Freundlichkeit kostet ja bekanntlich nichts“, lacht Anthony.
Es sind aber nicht nur Freundlichkeit und Charme, die ihm helfen, seine Ziele zu erreichen. Es ist mehr. Er plant sehr genau. Für diesen Flug nach Dublin hat er zum Beispiel organisiert, dass er als Letzter aussteigen kann, dass ein Hebebühnenwagen seinen dreieinhalb Zentner schweren ParaGolfer aus dem Frachtraum hebt, und dass er damit zur Gepäckausgabe gebracht wird. Auf dem Weg zum Flughafenausgang sitzt Anthony in dem ParaGolfer, den er dem Behinderten hier in Irland übergeben will, und schiebt seinen normalen Rollstuhl geschickt und recht schnell vor sich her. Ich kann ihm kaum folgen.
Vor dem Airport erwartet ihn der Sohn des Mannes, für den Anthony angereist ist. Er stellt sich als Ryan Gaynor vor. Wir laden den ParaGolfer in seinen kleinen Laster, steigen ein und fahren zum Golfplatz nach Kingscourt. Auf dem Weg dahin erfahre ich, dass Anthony Netto ein Überraschungsgast sein wird. Der Vater unseres Fahrers war seit seiner Kindheit ein begeisterter Golfspieler. Vor zwei Jahren hatte er einen schlimmen Unfall. Dadurch ist er querschnittsgelähmt und sitzt im Rollstuhl. Ein schwerer Schicksalsschlag. Dass er nicht mehr Golf spielen kann, nahm ihm zusätzlich ein Stück Lebensmut.
Irgendwann hörte sein Sohn Ryan von Anthony Netto und vom ParaGolfer. Er telefonierte und bestellte für seinen Vater ohne dessen Wissen das spezielle Behinderten-Golf-Cart und Anthony als Überbringer gleich mit dazu. Auf der Fahrt zum Golfplatz kommen Zweifel auf. Ob die Überraschung gelingt, ob wohl alles gut geht?
Ryan stellt seinen Kleinlaster in eine Waldnische des Golfclubs. Der Vater soll nichts merken, denn der sitzt im Kreis seiner informierten Familie auf der Terrasse des Clubhauses und ahnt nichts. Anthony setzt sich in den ParaGolfer, lässt sich ein Golfbag aufs Gefährt schnallen und fährt langsam auf die Terrasse. Da sitzt Ryans Vater im Rollstuhl. Anthony spricht ihn an und fragt, ob man mit so einem Gefährt hier auf diesem Platz wohl Golf spielen dürfe. Der Vater ist überrascht, so einen Golfwagen für Behinderte hat er noch nicht gesehen.
Dann geht alles sehr schnell. Sohn Ryan kommt auf die Terrasse, nimmt seinen Vater in den Arm und sagt ihm, dass dieser Golfwagen für ihn sei und der berühmte Anthony Netto ihm spezielle Golfstunden für einen Neuanfang geben werde.
Beide sind sehr gerührt. Tränen fließen. Auch ich kann meine Ergriffenheit nicht verbergen. Es dauert lange, bis sich alle Beteiligten wieder gefangen haben. Dann setzt der Vater sich in den ParaGolfer und nimmt erstmals nach dem Unfall vor zwei Jahren seine erste Golfstunde als Behinderter.
Wir bleiben drei Tage. Anthony gibt auch mir Unterricht. Wir verbringen viel Zeit miteinander und reden über Golf und die Welt.
Anthony Netto hat drei Kinder und wohnt in Kapstadt. Trotz seiner Behinderung spielt er Handicap Null und schlägt den Golfball aus seinem Rollstuhl mehr als 200 Meter weit. Sein Leben vergleicht Anthony Netto mit dem Golfspiel. Berge und Täler, Höhen und Tiefen hat er in seinem Leben durchgemacht. Seine leuchtend blauen Augen, sein Lachen und die tiefe Sonnenbräune erzählen von den Höhen. Der Rollstuhl, in dem er seit Jahren sitzt, spricht Bände von den Tiefpunkten.
Ich frage ihn, ob das, was er hier in Irland macht, sein Beruf geworden ist. „Ja, ich bin Golf Professional. Ich fliege durch die ganze Welt und motiviere Menschen zum Golfsport, damit sie trotz ihres schweren Schicksals wieder Hoffnung und Spaß am Leben haben können. Ich starte Programme für Menschen im Rollstuhl und zeige ihnen, wie effektiv der Golfsport benutzt werden kann, um Stehtherapie und Motorik zu verbessern. Dabei geht es nicht darum, den perfekten Golfer im Behindertensport auszubilden, sondern um Puttbewegungen und um einfache Golfschläge. Jeder Behinderte entwickelt eine eigene Technik", sagt Anthony Netto „aber das ist ja nichts Besonderes, jeder gesunde Golfer macht das auch“.
„Gibt es ein besonders schönes Golferlebnis für dich“, will ich wissen.
„Das war, als ich mit meinem Sohn Jeffrey nach meinem Unfall aus dem ParaGolfer heraus wieder 18 Löcher Golf spielen konnte“, antwortet er. „Schön war es auch, mit der Deutschen Nationalmannschaft nach Irland zu den Special Olympic World Summer Games zu fliegen und mit Gold, Silber und Bronze zurück zu kommen.“
Anthony Nettos Initiativen zeigen bereits große Wirkung: ParaGolfer werden in der ganzen Welt an interessierte Spieler verkauft oder ausgeliehen. Rollstuhlfahrer entdecken dank dieses Gerätes eine neue, ungeahnte Freiheit und Unabhängigkeit. Das Aufrichten stärkt das Selbstwertgefühl und hat zudem therapeutische Wirkung. Endlich kann man seinem Gegenüber in Augenhöhe gegenüberstehen. Es fördert die Durchblutung und Verdauung, dehnt Bänder und Sehnen, vermindert die Spastik und verhindert die Verkalkung der Gelenke.
Schon früher spielte Anthony Netto Golf, um Geld zu verdienen und gab aus dem gleichen Grund Trainerstunden. Heute gibt er vielen Behinderten Unterricht, ohne einen Cent dafür zu nehmen. "Dafür knöpfe ich meinen prominenten Schülern mehr ab", lacht er. Unter ihnen finden sich Namen wie Franziska van Almsick, Prinz Albert von Monaco, Franz Beckenbauer, Mario Barth, Boris Becker und Professor Dietrich Grönemeyer.
Hinweis:
Zusammen mit dem Kurhotel Marysol auf Teneriffa werden ständig mehrtägige Anfängerkurse und Turniere veranstaltet, zu denen Interessierte aus vielen Nationen kommen. Das Hotel bietet den Teilnehmern optimale Unterbringung ganz ohne lästige Stufen und Treppen und verfügt über einen Powergolfer, der allen Teilnehmern während des Einsteigerkurses zur Verfügung steht. Ein sehr geeignetes Urlaubsdomizil für behinderte Menschen aller Art.“